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Geschichte



Die Geschichte der Capoeira
Entwicklung bzw. Aufspaltung
in Capoeira Regional und Capoeira Angola


Capoeira wurde in Brasilien während der Kolonialzeit, dem Kaiserreich, der Monarchie und der ersten Republik (1889-1930) verboten und verfolgt. Trotz des Verbotes wurden in Salvador/ Bahia von Mestre Bimba und Mestre Pastinha die ersten Capoeira-Schulen (Academias) gegründet. Diese wurden im Laufe der Zeit stillschweigend geduldet.
Die alten Mestres
Mestre Bimba Mestre Bimba (1900-1974)

Mestre Bimba (Manoel dos Reis Machado), ein ehemaliger Zimmermann und Pferdetrainer mit einer starken und integeren Persönlichkeit, der als Capoeira-Lehrer arbeitete, gründete 1932 als erster Meister eine Akademie. Er kam in den 30er Jahren in Rio mit orientalischen und fernöstlichen Kampfsportarten in Berührung und integrierte Elemente aus ihnen in die traditionelle Form der Capoeira.

Mestre Bimba Er sah in der Weiterentwicklung der Capoeira die einzige Möglichkeit ihres Weiterlebens, als Reaktion auf die in den 20er Jahren heruntergekommene und desolate Capoeira, wie sie zum Teil auf den Straßen gespielt wurde. Er wollte der Capoeira ihre alter Schlagkraft zurückgeben. Nachdem er die politischen Machthaber vom kulturellen Wert der Capoeira überzeugen konnte, indem er eine Demonstration des Kampfspiels präsentierte, erhielt er 1936 eine offizielle Lizenz vom Ministerium für Erziehung und öffentliche Gesundheit und seine Schule wurde unter dem Namen "Centro de Cultura Física Regional" (Zentrum der regionalen Köperkultur) eingetragen. Dadurch wurde auch der Name seines Stils geprägt, welcher den neuen Verhältnissen Mestre Bimba im Land angepasst unter dem Namen Capoeira Regional bekannt wurde.

Mestre Bimba wurde so der erste Meister, der offiziell eine formelle Capoeira-Schule gründete, und einen Versportungsprozess der Capoeira in Gang brachte. Durch seine Neuerungen erhielt Capoeira zu erstenmal anerkannte Bedeutung, verlor dabei aber Merkmale der spontanen Volkserscheinung.



Mestre Pastinha Mestre Pastinha (1889-1981)

Mestre Pastinha (Vicente Ferreira Pastinha) gründet seine Schule 1941, auch als Reaktion auf Capoeira Regional, um die die traditionellen Werte der Capoeira weiterleben zu lassen. Mestre Pastinha Er nannte seine Akademie deshalb auch "Centro Esportivo de Capoeira Angola" (Sportzentrum der Capoeira Angola).

1952 war seine Akademie endgültig offiziell als Centro de Capoeira Angola etabliert, was dann auch hier wiederum namengebend für seinen Stil wurde.


Die Unterschiede zwischen
Capoeira Regional und Capoeira Angola
Definition / Charakterisierung der Capoeira Regional

  • sieht sich selbst als vorwiegend brasilianisches Phänomen
  • entwickelt aus den ursprünglich freien, auf Selbstverteidigung bezogenen Bewegungen einen Stil mit genau festgelegten Techniksequenzen, in denen mehr Wert auf Angriff gelegt wird
  • schnelles, dynamisches Spiel mit hohen,
    z. T. fliegenden Bewegungen
  • akrobatisch, sportlich, athletisch
  • betont den kämpferischen Aspekt, ist aggressiver
  • ist offen für neue Einflüsse
Definition / Charakterisierung der Capoeira Angola

  • betont die afrikanischen Wurzeln
  • ist sehr traditionsbewusst, Änderungen gegenüber weitgehend verschlossen
  • ist tänzerischer und eher spielerisch vergnügt
  • hat tiefe, z. T. kriechende oder animalische Bewegungen
  • mit einer begrenzteren Auswahl an Bewegungsformen, die perfektioniert werden
  • in ihr ist die Capoeira-Philosophie noch zum großem Teil lebendig und die geistige Entwicklung ebenso wichtig wie die körperliche
  • ist gekennzeichnet durch Spiritualität und Ritual
  • ihr Spiel (Jogo de Angola) zeichnet sich durch Intuition, Spontanität, Kreativitäat und Improvisation aus
Auch die musikalischen Unterschiede zwischen beiden Formen sind charakteristisch. Während sich bei Capoeira Angola de Bewegungen direkt auf die Musik beziehen, legt Capoeira Regional einen stärkeren Akzent auf die bewegungstechnische Leistung und Aktion des Einzelnen.

Beide, Capoeira Regional und Capoeira Angola, haben in ihrer Folge neue Schulen und Stile hervorgebracht, basierend auf Interpretation der Lehren von Mestre Bimba und Mestre Pastinha. Dabei haben einige Schulen versucht, die Charakteristiken des Originalstils der großen Meister beizubehalten, während andere ihre eigenen Charakteristiken und Stile entwickelt haben.

So lässt sich überhaupt feststellen, dass in der Capoeira der Stil eines Lehrers stark durch seine Persönlichkeit geprägt ist, und dadurch oft eine individuelle Ausprägung erfährt. Nachdem lange Zeit Capoeira Regional den größten Zustrom an Schülern verzeichnen konnte, und Capoeira Angola eher eine bisschen ins Hintertreffen geriet, gibt es ausgehend von einer Kritik, die auf die Einseitigkeit von Capoeira Regional als zu versportlicht abzielt, eine andere neue Entwicklung innerhalb der Capoeira.
Folgen der einseitigen Versportlichung der Capoeira
durch die Capoeira Regional
Das Kreieren eines neuen Stils durch Mestre Bimba in der Form der Capoeira Regional hatte zwei wichtige Veränderungen zur Folge. Mestre Bimbas wichtigster Beitrag war vielleicht das revolutionäre Konzept, eine von der herrschenden Elite geächtete Tätigkeit zu einer angesehenen Kunstform werden zu lassen, die, frei praktiziert und unterrichtet in gesetzlich gegründeten Organisationen, die Möglichkeit einer Lebensgrundlage bot. Andererseits setzte 1932 mit der Liberalisierung ein Versportlichungsprozess der Capoeira ein, der durch folgende charakteristische Veränderungen gekennzeichnet ist:
  • es wird nicht die spielerische, sondern die offensive Seite betont
  • Capoeira wird in einen Kampfsport umgewandelt
  • Capoeira wird zu einem nationalen Sport umfunktioniert, der hohe körperliche Anforderungen stellt und in seiner umfassenden Muskelbeanspruchung vielen international etablierten Kampfsport überlegen ist, denn sie benötigt nicht nur die Entwicklung besonders starker Muskeln, sondern vielmehr das Zusammenspiel aus Kraft, Beweglichkeit, Flexibilität, Gewandtheit (Schnelligkeit und Kondition)
  • 1972 setzt der brasilianische Ringerverband (!) Regeln für die Capoeira bei Wettkämpfen fest, die für die Föderationen der einzelnen Bundesstaaten und auf Bundesebene festgelegt sind und wonach sich zwei Kontrahenten nicht länger als drei Minuten in einem Feld, das auf drei Meter Durchmesser festgelegt ist, gegenüberstehen dürfen, inklusive des Punktabzugs bei Verletzung dieser Regeln
  • 1997 veranstaltet der Capoeira-Verband "Abadá" einen als Weltmeisterschaft deklarierten, dabei aber verbandsinternen Wettkampf, bei dem zwar noch gilt, dass die Musik den Charakter/ Stil und das Tempo der Bewegung bestimmt, bei dem aber Punktrichter zur Bewegung eingeteilt werden, die Noten zu vergeben haben. Kriterien sind dabei
    1. Präzision
    2. Ausdruck
    3. Rhythmus
    welche alle auch Merkmale zur Beurteilung von Bewegungsabläufen sportlicher Techniken sind.
    Die Begründung für den Gewinner des Finales lautete
    1. seine Attacken waren genauer, ausbalancierter
    2. seine Deckung war perfekter
Durch zunehmende Systematisierung und Disziplinierung eines Spiels geht der Spielgehalt verloren, das Spiel wird in einen Sport umgewandelt. Durch bestimmte Reglementierung wird der ursprüngliche Gehalt reduziert und damit der Wert dieser Kultur an den Rand gedrängt. Durch den Wettbewerbseinfluss besteht die Gefahr, dass das kritische Potential der Capoeira verloren geht. Mit der Entwicklung zum nationalen Kampfsport und mit der Übernahme von genauen Regeln und Normen, erfuhr die Capoeira die größte Verfremdung als Ausdruckselement des Einzelnen. Die genormten Festsetzungen haben keinerlei strukturelle oder kulturelle Ähnlichkeit mit der Capoeira, sondern sind adaptiert aus orientalischen Kampfsportarten. Capoeira ist kein Mittel des Ausdrucks mehr, hat aber den Charakter eines Kampf- und konkurrenzorientierten Sports übernommen.

Der Capoeirista - ursprünglich Künstler (Tänzer, Kämpfer, Musiker, Sänger und Akrobat) - wird zu jemandem, der nur noch um sportliche Siege kämpft. Diese Entwicklungstendenz, die z. T. wie Choreographien wirken, forciert ein schnelles Spiel, in dem die Distanz größer sein muss, und das deswegen oft aneinander vorbei geht, wobei der ursprünglich intendierte Körper-Bewegungsdialog als reziprokes Frage-Antwort-Spiel abflacht. Sie ist an einer reinen Leistungsperfektion orientiert, die nach dem Motto schneller, stärker und besser (höher, dynamischer, aggressiver) strebt. Diese sportliche Perfektion des Capoeira-Spiels ist zu einseitig und wird dem Spielgedanken nicht gerecht. Sie führt in eine Sackgasse, weil kein offenes, freies Spiel mehr möglich ist. Stagnation ist die Folge. Es fehlt eine andere Seite, die das Jogo de Capoeira (Spiel der Capoeira) charakterisiert und ausmacht und die droht verloren zu gehen. In der Capoeira Angola ist diese Seite noch lebendig und kommt zum tragen.
Das Capoeira Spiel - Jogo de Capoeira
Spielidee

Capoeira als Bewegunskunst, in der sich Kampf, Tanz, Akrobatik, Spiel und Musik miteinander vermischen. In einem ständigen Wechsel von Angriff und Verteidigung, schnellen Ausweichmanövern, tänzerischen und akrobatischen Bewegungen entwickelt sich ein spielerischer Zweikampf, der durch die Musik begleitet und geführt wird. Er ist Freude an der Bewegung des eigenen Körpers und dem Spiel mit dem Partner auf der Basis eines Körper- Bewegungsdialogs der Capoeira, einem Mitteilungssystem, das auf Rhythmus (Musik) und Körpersprache beruht.

Diese Art des Spiels bietet mehr Möglichkeiten, denn es lässt mehr Kombinationen zu. Das Spiel wird offener in der Gestaltung und dadurch interessanter und spannender.

Trotz des offensichtlichen Unterschiedes dieser zwei Hauptströmungen, die sich in den genannten Punkten wesentlich voneinander unterscheiden, lautet der oberste Leitsatz vieler Capoeiristas "Es gibt nur eine Capoeira", ein Standpunkt mit dem sie nicht nur allen Spaltungsversuchen (von außen) entgegentreten, sondern durch den sie auch diese beiden Formen nicht strikt voneinander trennen, vielmehr die Unterscheidung von den jeweils Ausführenden abhängig machen. Alle aber fallen unter den Namen "Capoeira"!
Entwicklungen und Tendenzen in der Capoeira
und ihre Verbreitung
Neuentwicklung / Weiterentwicklung

Es sind vorwiegend Regional Capoeira der jüngeren Generation, die den Stil von Mestre Bimba um einige Elemente des traditionellen Stils bereichern. Diese neuere Form der Capoeira hat die traditionellen, musikalischen und tänzerischen Formen weitgehend integriert und das Repertoire an Bewegungen und Rhythmen erweitert. Dabei wird der afrikanische Anteil anerkannt und die Capoeira-Philosophie nimmt wieder ihren zentralen Stellenwert ein.

Der Entwicklungsprozess der Capoeira nahm folglich am Anfang wenig Rücksicht auf Philosophie und Hintergründe, welche für Capoeira Angola dafür um so wichtiger waren. Diese wiederum lehnte jegliche Einflüsse von außen ab. Dieser Prozess nun mündet, so scheint es, in den jüngeren Bestrebungen, die Capoeira in ihrem ganzheitlichen Wesen zu erfassen und zu präsentieren. Obwohl er nicht von allen Lehrern/ Meistern gleichermaßen anerkannt wird, ist er doch die stärkste neuen Entwicklung, die so denke ich, sich durchsetzen wird und zu begrüßen ist.

Eine der wichtigsten neuen Entwicklungen in der Capoeira ist wohl die Tendenz, dass einige Lehrer/ Meister versuchen, die strikte Trennung der (zur Zeit noch) zwei aktuellen Hauptstilrichtungen, Capoeira Regional auf der einen Seite und Capoeira Angola auf der anderen, aufzuheben bzw. einen neuen Stil zu kreieren, welcher als eine Art Synthese aus beiden Stilen auszumachen ist.

Diese jüngere Stilrichtung schickt sich an, sich als dritte starke Strömung neben den beiden älteren zu etablieren. Um diese Entwicklung besser verstehen zu können, ist es zunächst wichtig, den historischen Verlauf darzustellen, der zu der Aufspaltung der Capoeira führte, und in einem weiteren Schritt die Stile, die sich daraus ergaben, zu charakterisieren.